Inder: „Hello Mr, where do you go?“ Wir: „To the hotel xy“ Inder: „Oh no. Don’t go there. The building burnt down yesterday. But don’t worry, my brother has a nice hotel.“ So begrüßte man uns vor vier Jahren bei unserem ersten Indienbesuch in Delhi. Diesmal waren wir angenehm vom Süden des Landes überrascht: weniger Chaos und mehr Gelassenheit. So verschieden wie der Norden vom Süden ist, bleibt einiges doch gleich: die indische Kultur könnte farbenfroher nicht sein, das Essen ist ein Traum und die Landschaften im Süden wie aus dem Bilderbuch gebastelt. Trotzdem erwartete uns in Indien ein Erlebnis, das an der Grenze zwischen Gut und Böse war und an das wir uns wahrscheinlich noch ein Leben lang erinnern werden. Und ich schwöre: wir haben uns die Geschichte nicht ausgedacht!

Auf geht’s nach Indien zum Schwitzen!

Aber fangen wir ganz am Anfang in Chennai an. Was uns erwartete, war nicht nur indische Großstadt für Fortgeschrittene, sondern eine Hitzewelle sondergleichen. Wir wussten natürlich, dass wir gerade vor der Regenzeit in Indien ankamen. Also genau zu der Zeit, in der sich das Thermometer eher am oberen Ende orientiert. Das Problem war aber auch, dass wir aus dem perfektionistischen und relativ kühlem Japan kamen. Zwei Kulturen mit mehr Gegensätzen gibt es glaube ich weltweit gar nicht. Nur wenige Touristen hatten die glorreiche Idee auf Schwitzkur nach Indien zu fahren. In den ersten 1,5 Wochen waren wir die einzigen Nicht-Inder, die im Südosten von einem Tempel zum nächsten tourten.

Der mit der westlichen Freundin

Im Rückblick gesehen würde ich es aber auf jeden Fall wieder so machen. Wir hatten quasi die ganze Horde an Indern nur für uns alleine. Trotzdem fühlten wir uns nur selten von Verkäufern, Taxifahrern und Tourguides bedrängt und auch das Starren hielt sich relativ in Grenzen. Es scheint, dass zur Nebensaison auch die indische Aufdringlichkeit Pause macht. Wenn wir dann doch so einige Male das Spektakel waren, lag das vor allem an einem Grund: mein Freund ist wahnsinnig wandelbar. So wie jetzt in Iran alle glauben, dass er einer von ihnen ist, waren auch die Inder überzeugt, dass er gerade nur vergessen hatte sich den roten Punkt auf die Stirn zu malen. Da war es dann natürlich unvorstellbar, dass dieser Inder mit einer westlichen Freundin daherkam. 😉

Sehr beeindruckend fand ich persönlich die Region Tamil Nadu, wo ein bunter Tempel den anderen übertrumpft. Gepaart mit vielen Ausgrabungen aus vergangenen Zeiten waren das sehr magische Orte. Danach führte uns die Reise nach Kerala. Die Region ist vor allem für ihre Wasserlandschaften mit Palmen soweit das Auge reicht, berühmt. Ein Highlight ist es hier mit einem Boot durch die unbekannteren Gewässer zu fahren und an kleinen Dörfern vorbeizutuckern.

Ich hatte ja schon zuvor angesprochen, dass Indien extrem vielfältig ist. Es ist dabei nicht nur der Norden, der sich vom Süden unterscheidet. Jede einzelne Region hat so viel Einzigartiges. Abgesehen davon, dass so gut wie überall eine andere Sprache gesprochen wird, verändern sich Sitten, Essensgewohnheiten und selbst die Farben der Taxis. Besonders überrascht waren wie vom Lebensstandard in Kerala. Sie ist die reichste Region in Indien, in der es eine Alphabetenrate von 96 % gibt. Wahnsinn und das in Indien!

Ein Land in Armut

Trotzdem ist das Thema Armut bei jedem Indienbesuch ein zentrales Thema. Sobald sich von Kerala und Goa wegbewegt, ist sie überall zu sehen. Bis heute bin ich mir nicht sicher, wie man diesem Thema am besten begegnet. Meine Regel war generell, dass ich nie Geld hergebe und vor allem dann nicht, wenn Kinder betteln oder Mütter Kinder als Vorwand nehmen um mehr herauszuholen. Ich fand es immer besser Bananen oder ähnliches zu verteilen. Aber ehrlich gesagt, verliert dieser Vorsatz in Indien ein wenig an Sinn. Niemand in Indien lebt freiwillig auf der Straße. In Europa wird ja zum Beispiel oft von den Bettlerbanden gesprochen, die Menschen zum Betteln schicken. Die Bettler selbst erhalten so gut wie nichts von den Almosen. Das mag für einige Orte in Europa zutreffen, aber bestimmt nicht pauschal auf Indien übertragbar sein. Sieht man die vielen Inder in ärmlichen Verhältnissen fühlt man sich automatisch schuldig. Man lebt schließlich selbst im Überschuss und verwirklicht seine Träume, während es der Traum eines armen Inders ist, sich ein Stück Brot für den heutigen Tag zu kaufen. Ich nehme mal an, dass es die Ideen war mich vom schlechten Gewissen freizukaufen, aber am Ende der Reise habe ich doch wieder angefangen ein paar Rupien herzugeben. Der Betrag war wirklich nicht der Rede wert, aber  irgendwie glaubt man doch, etwas beigetragen zu haben. Ja lächerlich, ich weiß…

Monsun und was für einer

Kurz nachdem wir in Kerala angekommen waren, erlebten wir dann auch den Monsun in seiner vollen Wucht. Es regnete und regnete. Die Wassermassen kamen und nicht, wie schon oft in anderen Ländern erlebt, für ein bis zwei Stunden, sondern über den ganzen Tag verteilt. Pläne zu machen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Denn einmal war die Regenpause zehn Minuten, während es ein anderes Mal doch wieder zwei Stunden waren. Wir versuchten es mit Gelassenheit zu nehmen. Zumindest hatte es auch endlich ein wenig abgekühlt. Blöd nur, dass wir gerade auf den Weg in Indiens Badeparadies waren…

Züge_Südindien

Und dann kam das Appartement mit der besten Bewertung auf Booking.com

Goa, der soeben angesprochene Badeort, war wie ausgestorben. Hotels, Restaurants, Bars, Geschäfte soweit das Auge reicht, nur war der Großteil geschlossen. Auch hier: kein einziger Tourist. Ehrlich gesagt war uns das auch ganz recht. In der Hochsaison muss dieser Ort echt die Touristenhölle sein. Mein Traum vom Strandbesuch war dann schnell zu Nichte. Die Strömung in der Nebensaison ist so stark, dass niemand ins Wasser darf. Statt mich am Strand zu bräunen, entschlossen wir uns mit einem geliehenen Moped die Region zu erkunden. Die Gewitterwolke schwebte nicht nur symbolisch immer über unseren Köpfen.

Wasserbüffel_Feld_Benaulim_Goa

Zumindest schien unser Hotel eine gute Wahl zu sein. Es hatte auf der Internetseite booking.com eine Gesamtnote von 9,5 (eine absolute Bestnote von über 100 Bewertungen) und bot uns einen Pool und eine idyllische Lage am Reisfeld – Büffel inklusive. Das Personal und der Manager schienen sehr freundlich. Wir füllten uns gut behandelt und sicher. Zu sicher?

Uups da fehlt was…

Eines schönen Tages machten wir uns dann auf den Weg um die Altstadt von Goa zu erkunden. Blauäugig wie wir anscheinend waren, vertrauten wir dem Hotelschrank unsere Habseligkeiten an. Es gab theoretisch zwar eine Schublade, die abgesperrt werden konnte, aber das Schloss war kaputt. Wir ließen unser Bargeld (das wir dringend für Iran brauchten und daher in Überzahl mit uns herumtrugen) und einige unserer elektronischen Gadgets (Laptop, Kamera etc.) im Zimmer. Als wir zurückkamen, waren wir überrascht, dass unser Zimmer geputzt wurde. Das war schließlich das erste Mal seit zwei Wochen, dass uns dieser Service in einem Hotel angeboten wurde. Es war plötzlich alles schön säuberlich geordnet und komischerweise waren Reißverschlüsse bei Taschen und Rücksäcken geöffnet und Gegenstände hatten ihren Platz gewechselt. Da läutete bereits die Alarmglocke bei uns. Beim Blick in unseren Tasche, wo der Großteil des Geldes deponiert war, dann die Ernüchterung: Von den 1.400 Euro waren gerade noch 100 Euro übrig.

Kurzer Einwurf: Hallo Herr Dieb, du bist aber auch sowas von selten dumm!!! Statt dir still und heimlich ein paar Hundert Euro unter den Nagel zu reißen – was wir mit ziemlicher Sicherheit nicht bemerkt hätten – ist es doch viel besser alles mitgehen zu lassen und quasi als Trostpreis zwei ärmliche 50-Euro-Scheine dazulassen. Das grenzt ja fast an unsere eigene Dummheit, das ganze Geld im Hotelzimmer zu lassen. 😉

Wir holten den Hotelmanager und schilderten ihm die Situation. Dieser schien relativ gelassen und ehrlich gesagt nicht überrascht. Er versprach aber sofort mit seiner Reinigungskraft zu sprechen. In der Zwischenzeit war unser Zimmer zur Krisenzone erklärt worden. Sofort riefen wir unsere Reiseversicherung an. Beste Antwort in dieser Situation: „Ne Bargeld ist nicht versichert“. Nach ewigem Hin und Her (der Hotelmanager ließ sich auch unglaublich viel Zeit) stand dann die Putzkraft vor uns und versicherte uns mit dem falschesten Lächeln seit Anbeginn der Menschheit, dass er es nicht gewesen sei. Wir planten bereits unser nächstes Vorgehen (Polizei, Anzeige etc.) als plötzlich der Hotelmanager wieder im Zimmer stand. Es tue ihm wirklich schrecklich leid, aber das einzige was er uns anbieten könnte, ist, 50 % des gestohlenen Betrages aus eigener Tasche zu bezahlen.

Moraldo please!

Waaaas?!? Hallo versteckte Kamera, wo bist du? Hier kam dann auch das erste Mal die Furie Nora zum Vorschein. Ein Inder bezahlt mal eben so 700 Euro? Aha. Der glaubt wohl, wir sind komplett verblödet. Wir logen nun, dass sich die Balken bogen. Unsere beste Freundin würde bei booking.com arbeiten und wenn wir nicht sofort unser gesamtes Geld zurückerhalten, wird sein Hotel nie wieder Touristen als Gäste sehen. Wir drohten ihm mit dies und jenem und Guille mit seiner autoritären Stimme erwähnte des Öfteren das Wort Polizei. Höhepunkt war dann die Aktion, als er mit dem Moped zur nächsten Polizeistation fahren wollte und mir die Anweisung gab, mich im Hotelzimmer einzusperren und niemandem zu öffnen. Das tat ich auch. Währenddessen spielten sich am Hotelparkplatz dramatische Szenen ab. Der Manager, der zuvor schon in Tränen ausgebrochen war und eine Hollywood-fähige Szene abgespielt hatte, stellte sich Guille und dem Moped in den weg.

Mopedmieten_Indien_Goa

„Moraldo please, no police. Moraldooo“, seine Kommunikation hatte sich in eine Endlosschleife verwandelt. Kurzerhand hatten wir auch Guille schnell mal umgetauft. Lol Was dann bei dem ganzen herauskam, war Guilles Ultimatum: „You have 30 minutes to bring us the money“. Der Hotelmanager nahm ihn beim Wort.

30 Minuten später stand er wirklich mit 1.000 Euro in der Hand vor unserer Tür. Ich nahm das Geld zählte es und sagte: „Ok dann fahren wir jetzt eben wegen der fehlenden 400 Euro zur Polizei“. Damit hatte er anscheinend nicht gerechnet. Das Schlüsselwort war wieder „Polizei“ und schon war er wieder unterwegs um die restlichen 400 Euro aufzutreiben.

Das Endergebnis: Wir hatten dann wirklich wieder 1.400 Euro in der Hand. Es waren weder unsere Geldscheine – keine Ahnung wo dieser Typ mitten in der Nacht in der Nebensaison so schnell Euroscheine herbekam – noch stimmte der Betrag. Wie wieder später herausfanden, hatten wir uns im Eifer des Gefechts verzählt und von ihm 50 Euro mehr zurückverlangt.

Das war uns zu diesem Zeitpunkt aber völlig egal: wir nahmen das Geld, unsere Habseligkeiten und zischten unter den Augen des Managers, seiner Frau und der zwielichtigen Reinigungskraft auf dem Minimoped davon. Von uns selbst sah man wahrscheinlich nicht mehr viel, da überall – vorne und hinten – Rucksäcke waren. Durch Zufall fanden wir um 11 in der Nacht noch eine Bleibe und der erste Gang war in die nächste offene Bar. So ein Erlebnis kann schließlich nur mit einem Glas Alkohol verdaut werden. Der zweite Gang war dann am Morgen zur Bank. Dann die endgültige Erleichterung: es handelte sich tatsächlich um echte Euroscheine.

Bis heute wissen wir nicht, was wirklich passiert ist. a) Das ganze war eine Kooperation zwischen Manager und Reinigungskraft. b) Es war die Reinigungskraft, aber diese wusste irgendein unglaubliches Detail über die Vergangenheit des Managers (Mord und Totschlag oder Drogen), daher bezahlte er den Wahnsinnsbetrag aus eigener Tasche c) Die Polizei ist so unglaublich korrupt (das wurde uns später auch von jemanden bestätigt), dass man alles tut um nicht mit ihr in Kontakt zu kommen. d)… e)…

Ich überlasse die Interpretation jetzt einfach mal eurer Fantasie. 😉

PS: Indien hat uns trotz alledem wieder unglaublich verzaubert. Um ehrlich zu sein, mich ein wenig mehr als Guille. Dazu Guilles Zitat: „Nora, dir kann man einen Müllberg mit indischer Flagge vor die Nase stellen und du flippst vor Entzücken aus.“

Ende gut, alles gut!